Bericht vom 8. Landesparteitag: nach der Bürgerschaftswahl

Unsere Bürgerschaftsfraktion wurde am 22. Mai neu gewählt. Am 8. Juni schon hat sie sich konstituiert, ihren Fraktionsvorstand gewählt und auch schon mal die Aufgabengebiete verteilt. Als Vorsitzende wurde gewählt (alles einstimmig) Kristina Vogt. Sie war Spitzenkandidatin im Wahlkampf und hatte auch die meisten Personenstimmen erhalten. Cindi Tuncel und Klaus-Rainer Rupp sind für die Dauer von einem Jahr ihre Stellvertreter. Danach sollen die StellvertreterInnen rotieren; während der Fraktionsvorsitz nach zwei Jahren neu gewählt wird. Die fachpolitischen Zuständigkeiten wurden folgendermaßen festgelegt: Claudia Bernhard für Frauen, Arbeit, Stadtentwicklung; Peter Erlanson für Soziales, Gesundheit, Kultur; Klaus-Rainer Rupp für Haushalt/Finanzen, Wirtschaft/Häfen, Umwelt; Cindi Tuncel für Jugend, Migration, Sport, Friedenspolitik; Kristina Vogt für Bildung, Inneres, Recht, Internationales. Die Fraktion folgte mit ihren ersten Personalentscheidungen einer Empfehlung des Landesparteitages vom 5. Juni 2011. Kontrovers diskutiert wurden hier zwei Modelle, nämlich entweder alleiniger Vorsitz für die Spitzenkandidatin oder quotierte Doppelspitze, wie es in der alten Fraktion der Fall war. Der Landesparteitag entschied sich mit großer Mehrheit für die erste Lösung.

Hier der vollständige Bericht:

Nach der Bürgerschaftswahl: eine neue LINKE Fraktion

Die neue Fraktion. vlnr: Klaus-Rainer Rupp, Claudia Bernhard, Kristina Vogt, Peter Erlanson und Cindi Tuncel

8. Landesparteitag im Konsul-Hackfeld-Haus

Kristina Vogt auf dem Landesparteitag

Unsere Bürgerschaftsfraktion wurde am 22. Mai neu gewählt. Am 8. Juni schon hat sie sich konstituiert, ihren Fraktionsvorstand gewählt und auch schon mal die Aufgabengebiete verteilt. Als Vorsitzende wurde gewählt (alles einstimmig) Kristina Vogt. Sie war Spitzenkandidatin im Wahlkampf und hatte auch die meisten Personenstimmen erhalten. Cindi Tuncel und Klaus-Rainer Rupp sind für die Dauer von einem Jahr ihre Stellvertreter. Danach sollen die StellvertreterInnen rotieren; während der Fraktionsvorsitz nach zwei Jahren neu gewählt wird. Die fachpolitischen Zuständigkeiten wurden folgendermaßen festgelegt: Claudia Bernhard für Frauen, Arbeit, Stadtentwicklung; Peter Erlanson für Soziales, Gesundheit, Kultur; Klaus-Rainer Rupp für Haushalt/Finanzen, Wirtschaft/Häfen, Umwelt; Cindi Tuncel für Jugend, Migration, Sport, Friedenspolitik; Kristina Vogt für Bildung, Inneres, Recht, Internationales.

Die Fraktion folgte mit ihren ersten Personalentscheidungen einer Empfehlung des Landesparteitages vom 5. Juni 2011. Kontrovers diskutiert wurden hier zwei Modelle, nämlich entweder alleiniger Vorsitz für die Spitzenkandidatin oder quotierte Doppelspitze, wie es in der alten Fraktion der Fall war. Der Landesparteitag entschied sich mit großer Mehrheit für die erste Lösung.

Keine Abwahl des Landesvorstandes

Der Konstituierung der neuen Fraktion vorausgegangen war ein Landesparteitag mit bundesweiter medialer Beachtung. Zu diskutieren gab es viel, wobei natürlich das relativ schlechte Wahlergebnis im Mittelpunkt stand. Außerdem sorgte ein Abwahlantrag für den gesamten Landesvorstand für Spannung. Die Entscheidung darüber fiel am Ende und nach einem langen Sitzungstag. Gegen den Initiativantrag auf Abwahl (eingebracht von Toni Brinkmann und anderen), votierten 38, dafür 22 Stimmen. Beschlossen wurde stattdessen ein vom Vorstand selber eingebrachter Antrag auf Neuwahl auf dem kommenden Parteitag im Oktober 2011.

Diskussion des Wahlergebnisses

Das Wahlergebnis wurde nicht weiter schön geredet. Nicht nur mit einem, sondern mit zwei blauen Augen wäre man davongekommen! Mit 5,6% war die Linke gerade noch über die 5-Prozent-Hürde gerutscht und hatte - nach einer langen nächtlichen Zitterpartie - mit fünf Abgeordneten auch wieder Fraktionsstärke erreicht. Gegenüber der Bürgerschaftswahl von 2007 (8,4%) hat der Landesverband jetzt zwei Abgeordnete weniger und rund ein Drittel der Wählerinnen und Wähler verloren. Zieht man den Vergleich zum Spitzenergebnis bei der letzten Bundestagswahl 2009 (15,4% der Zweitstimmen), auch wenn man Landtags- nicht mit Bundestagswahlen vergleichen soll, waren es sogar rund zwei Drittel. Der allgemeine Bundestrend (Aufwind für die Grünen und die SPD) und die schlechte "Performance" der Bundespartei (jedenfalls in der Darstellung der Medien) haben dabei sicher ihren übergroßen Anteil gehabt. Aber es bleibt ein großer Anteil an eigener Verantwortung. Und darum ging es in der Auswertungsdiskussion in einer ebenso kontroversen wie engagierten und eigentlich auch immer sachlichen und von persönlichen Angriffen (weitgehend) freien Debatte über ca. sieben Stunden im Konsul-Hackfeld-Haus.

Zuviel Kraft und Energie nach innen

Christoph Spehr als Landessprecher legte gleich den Finger in die Wunde. Von uns würde nach außen ein Bild erscheinen, dass wir uns viel zu sehr und mit viel zu viel Kraft mit uns selber beschäftigen. Viele hätten uns 2007 mit großen Hoffnungen gewählt. Jetzt endlich gäbe es eine linke, klassenbewusste Partei, die es vorher nicht gegeben hätte. Aber es wäre uns nicht gelungen zu vermitteln, dass wir in den wichtigen Fragen wie Arbeitslosigkeit, sozialer Spaltung, Finanzkrise und auch Atomausstieg und Energiewende die Probleme aufgreifen und wirklich die Dinge ändern wollten bzw. könnten. Dabei wäre in den nächsten vier Jahren eine starke LINKE wichtiger denn je. "Wir müssen es schaffen, und daran werden wir gemessen, unter Beweis zu stellen, dass wir diejenige Kraft sind, die hier eine wichtige Rolle spielt, die Widerstand organisiert, die Perspektiven eröffnet und auch parlamentarische Voraussetzungen dafür schafft, dass wir unsere Chancen nutzen und nicht verspielen."

Kristina Vogt meinte, das Wahlergebnis wäre schon durchaus ein Spiegelbild der letzten vier Jahre. "Wir waren nicht genügend da, wenn wir gebraucht wurden." Und: "Man erntet nur das, was man gesät hat." Notwendig wäre in der kommenden Legislaturperiode eine stärkere Präsenz sowie eine bessere Vernetzung zwischen Bürgerschaft, Beiräten und Bürgerbüros in den Stadtteilen. In Gröpelingen und Walle hätte das schon ganz gut funktioniert, wie man auch an den Wahlergebnissen hätte sehen können.

In der Diskussion wurden noch viele weitere Aspekte aus der vergangenen Wahl angesprochen. Erwähnt seien nur

  • Frauenwahlkampf,
  • Wahlkampforganisation
  • Wahlkampfbüro und Wahlkampfplenum
  • Rücktritt des Wahlkampfleiters,
  • Berücksichtigung der Stadtteile, besondere Ergebnisse in den Stadtteilen usw.).

Vielfach wurde angeregt, an einer gründlichen Analyse dieser Wahl weiter zu arbeiten und die Ergebnisse weiter zu diskutieren.

"Beutegruppen"

Dieter Nickel wählte für seine Analyse eine erheblich schärfere Gangart und erhielt sofort vom Plenum Redezeitverlängerung. Das Wahlergebnis wäre eine schlichte Katastrophe gewesen. Wesentliche Gründe für dieses Desaster seien erstens unser von Zerrisenheit und Chaos geprägte Bild in der Öffentlichkeit und zweitens die mangelnde Beteiligung vieler Genossinnen und Genossen im Wahlkampf gewesen. "Und verantwortlich für beides ist meiner Meinung nach das Unwesen der sogenannten Beutegruppen in der Partei." Damit war eins der Schlüsselwörter für die folgende Diskussion gefallen, auf die sich die nachfolgenden Redner immer wieder bezogen. Der Begriff "Beutegruppe" kommt eigentlich aus der Organisationssoziologie und meint das Bestreben von Gruppen in Organisationen, als primäres Ziel ihres Handelns für sich Vorteile, Ressourcen, Stellen und Macht zu erringen. So auch im Landesverband Bremen. Bei den Versuchen, so Dieter Nickel weiter, an Macht und Einfluss und besonders an bezahlte Posten zu gelangen, sei jedes Mittel recht gewesen, wobei ein Schwerpunkt auf der Bekämpfung der gegnerischen Gruppe gelegen habe.

Dieter Nickel übte dabei auch eine gehörige Portion Selbstkritik. Seine Beteiligung an eine dieser Beutegruppen wäre rückblickend ein großer Fehler gewesen. Er erklärte (unter großem Beifall): "Ich werde mich in Zukunft an Beutegruppen, Mauscheleien und Intrigen nicht mehr beteiligen und bitte ausdrücklich um Entschuldigung." Er nannte zunächst keine Namen bei seiner Attacke. Er forderte alle Gemeinten auf, selber dazu Stellung zu nehmen und hier auf diesem Parteitag klar und deutlich zu sagen, dass sie dieses üble Spiel nicht weiter betreiben würden.

Die Aufstellungsversammlung vom 15. Januar 2011

Viele der nachfolgenden Debattenrederinnen und -redner stimmten der Kritik von Dieter Nickel ausdrücklich zu und schlossen sich seiner Forderung nach Beendigung des Beutegruppenunwesens ausdrücklich an. Aber Selbstkritik war selten dabei. Immer wieder wurden die Vorgänge auf der Aufstellungsversammlung (wo in einer Mitgliederversammlung die Liste der 24 Kandidaten aufgestellt und über ihre Reihenfolge auf der Liste entschieden worden war) angesprochen. Der Vorwurf: während eines längeren Zeitraums vor dieser wichtigen Entscheidung wäre eine ganze Reihe von Mitgliedern mit kurdischen Hintergrund in den Landesverband eingetreten, um für ihre Kandidatin, Songül Ergün-Bulut, ebenfalls erst seit kurzer Zeit in der Partei, einen aussichtsreichen Listenplatz durchzusetzen. Zu diesem Zweck wäre ein "Deal" oder eine "Absprache" mit einer der Beutegruppen, der sogenannten Montagsrunde, getroffen worden, wo man sich gegenseitiger Unterstützung versichert habe. Der Vorgang selber, dass so etwas tatsächlich stattgefunden hatte, wurde nicht bestritten. Aber über Interpretation und Bewertung gab es durchaus unterschiedliche Meinungen.

Leo Schmitt, derzeitiger Fraktionsgeschäftsführer, kritisierte in scharfen Worten. "Ich vermisse jetzt und hier einen großen Teil der Mitglieder, die bei der Kandidatenaufstellung am 15.1. dabei waren." Man missbrauche und entwürdige im Grunde genommen Parteimitglieder in einem solchen "Deal". Ebenso Roman Fabian, Betriebsratsvorsitzender im Klinikum Links-der-Weser: "Dieser Beschiss auf der Aufstellungsversammlung darf nicht wieder passieren. Ich möchte nicht, dass wir so etwas noch mal haben. Wir müssen uns als Partei gegen so etwas mit aller Deutlichkeit aussprechen."

Klaus-Rainer Rupp, Christoph Spehr, Claudia Bernhard und andere dagegen erklärten, dass es sich hier um eine völlig offene und basisdemokratische Wahl gehandelt habe und die Satzungsbestimmungen strikt eingehalten worden wären. Dass es Absprachen vor Wahlen zwischen Parteimitgliedern und Gruppen gäbe, das wäre normal und üblich. Außerdem: man sollte nicht vergessen, dass auch andere das Gespräch zwecks Absprachen mit der Gruppe der Kurdinnen und Kurden gesucht hätten. Christoph Spehr erklärte, dass man neu anfangen, dass man "abüsten" müsse. Die Montagsrunde gäbe es nicht mehr. Wichtig wäre, dass in Zukunft alle Gruppierungen und Strömungen öffentlich tagten. "Das allerwichtigste ist, dass sich derartige Dinge nicht wiederholen. Wir haben nach 2007 eine Menge an Eitelkeit und Machtanmaßung gesehen, was ich nie für möglich gehalten hätte. Und wir haben eine Menge an Ressourcen für unnütze Kriege von Fraktion gegen Partei verschwendet. Ich hoffe, weil wir uns das nicht mehr leisten können, dass daraus gelernt worden ist, ."

Welchen Schaden diese Vorgänge auf der Aufstellungsversammlung letztlich der Partei gebracht haben, konnte man in der Presse am nächsten Tag nachlesen. Der Weserkurier v. 8. Juni 2011 titelte auf der ersten Seite: "Linke: Handel mit Spitzenkandidatur", und im Binnenteil: "Eintrittswelle vor der Kandidatenwahl." Die Taz v. 9. Juni 2011 überschrieb ihren Bericht mit "Der Linken düsterer Regentag".

Offensichtlich gibt es auch in anderen Landesverbänden ähnliche Erscheinungsformen. So hat der Länderrat der Antikapitalistischen Linke (AKL) in Nordrhein-Westfalen sich ausführlich mit der Thematik befasst und zur Klärung des Verhältnisses zum kurdischen Verein Yek-Kom - auf Antrag von Ulla Jelpke - am 29.05.11 einen ausführlichen Beschluss gefasst. Darin werden die Versuche von Yek-Kom, sich an der Politik der LINKEN zu beteiligen, ausführlich begrüßt und zum Eintritt in die Partei ermuntert. Aber es heißt darin auch unmissverständlich: "Wir lehnen jede Art von Handel bei Kandidaturen, insbesondere die undemokratische Methode der Mobilisierung von Karteileichen nur zur Mehrheitsbeschaffung bei Abstimmungen ab." Ein solcher Beschluss wäre sicher auch für den Landesverband Bremen zur Klarstellung geeignet.

"Nach vorne blicken!"

Irgendwann hatten es die Delegierten aber satt, sich weiter mit der Vergangenheit und mit der Fehlersuche zu beschäftigen. Vorschläge für das zukünftige Handeln waren gefragt. Uns werde in Zukunft blühen, dass alle Vorhersagen über Kürzungen im Sozialbereich und im Personal des öffentlichen Dienstes wahr werden. Die Schuldenbremse werde aller Voraussicht nach in die Verfassung reingeschrieben werden. Die Frage wäre, so Klaus-Rainer Rupp, wie wir es als Partei schaffen würden, in den kommenden vier Jahren einen ähnlichen Protest auf die Straßen und auf die Plätze zu kriegen wie in Griechenland oder in Spanien. "Wir müssen raus aus dem Parlament. Nach vier Jahren Parlamentsarbeit weiß ich, dass man da richtig versacken kann. Und ich teile die Einschätzung, dass wir dringend in die Stadtteile müssen."

Die Idee der Bürgerbüros, und von mehr Bürgerbüros als bisher, fanden viele gut und notwendig. Es genüge aber nicht, nur die Büros einzurichten. Notwendig wäre die Entwicklung von stadtteilspezifischen Projekten, die zusammen mit den Kreisverbänden und den Beiräten vor Ort in Angriff zu nehmen wären. Peter Erlanson mahnte an, für die Parlamentsarbeit unbedingt Schwerpunkte zu bilden. Bernd Brejla konnte auf die erfolgreiche Stadtteilarbeit in Bremer Westen verweisen und empfahl das zur Nachahmung.

Initiativantrag zur Durchführung eines "Ratschlags" zu den politischen Schwerpunkten

Der Initiativantrag, eingebracht von Dieter Nickel und anderen, wurde zum Schluß des Landesparteitages einstimmig so beschlossen. Die neue Bürgerschaftsfraktion wird darin aufgefordert, "vor der Diskussion und Beschlussfassung der politischen Schwerpunkte in der Fraktion einen politischen Ratschlag durchzuführen. Es sollen aktive Menschen aus sozialen Bewegungen aller Art, aus Gewerkschaften, aus der Partei eingeladen werden, um mit ihnen die möglichen Arbeitsschwerpunkte in verschiedenen Themenbereichen (Armutsbekämpfung, Arbeit/Soziales, Wirtschaft, Bildung, Ökologie, ……) der Fraktion im nächsten Jahr/in den nächsten Jahren zu beraten. Der Ratschlag ist als größere Veranstaltung an einem Termin mit thematischen Arbeitsgruppen aber auch in Form von mehreren kleineren Veranstaltungen denkbar.

Der Parteitag fordert alle Gremien und alle Mitglieder der Partei auf, die Fraktion bei Vorbereitung, Mobilisierung und Durchführung dieser Veranstaltung zu unterstützen."

Nachbemerkung: ein Bericht über einen siebenstündigen Landesparteitag bleibt notwendig unvollständig und ist in der Bewertung subjektiv. 
Sönke Hundt